Jutta Weber-Bock
Leim rühren – Eine Begegnung in der Herrnhuter Brüdergemeine in Königsfeld
Sie klopfte bei Bruder Weiz, um ihre Strafe für das entwendete Briefpapier anzutreten. In der Buchbinderwerkstatt sollte sie ihm helfen und Leim rühren. Das sei eine Arbeit, die keiner liebe und ihrem Vergehen angemessen erscheine. Ein rechtes Gefitzel mit dem Papier und ein furchtbares Geschmiere mit dem Leim. Es schreckte Nanette nicht, war doch Bruder Weiz ein gütiger Mann, ein Sünder vor dem Herrn, wie er von sich selbst sagte.
Schwester Raillard öffnete ihr und umarmte sie, was noch nie vorgekommen war. Sie servierte Reste vom Osterkuchen und schenkte ihr Pfefferminztee ein. „Höre, was Zinsendorf sagt: Der Heiland hat die Art, wenn es die Sache erfordert und der Mühe wert ist, alle paar Minuten hervorzutreten und sich mitzuteilen. Ich kann an deinen Briefen nichts Verwerfliches entdecken. Du hast das Briefpapier gebraucht.“
„Ich danke Ihnen sehr. Wenn Sie nicht die Hand über mich halten würden, wer weiß, was hier aus mir würde.“
Schwester Raillard schüttelte den Kopf und scheuchte sie in die Werkstatt, wo sie auf einen jungen Herrn mit rotbraunem Backenbart traf, der sie zu sich winkte.
Sie verneigte sich. „Ich bin Bruder Weiz als Hilfe zugedacht. Im nächsten Jahr werde ich konfirmiert. Bücher liebe ich seit der frühen Kindheit, besonders Pestalozzis Fabelbüchlein. Später habe ich auch Therese Huber gelesen. Man nennt mich hier Nanette. Christiane ist mein richtiger Name. Bergrat von Hehl ist mein gnädiger Herr Vater. Sein Vater ist Bürgermeister in Stuttgart. Meine werte Mutter ist eine Geborene von Klein und die Schwester des Königlichen Leibarztes.“
„Die Herkunft ist ein wichtiges Zeugnis. Wer sie aber zu sehr betont, ist ihrer nicht sicher“, antwortete der Herr und zog die Brauen hoch.
Sie schlug sich mit der Hand auf den Mund. Angemessen begrüßen hatte sie ihn wollen. Immer war alles falsch, wie sie es auch machte.
„Christiane von Hehl also heißt sie. Ich werde mir den Namen merken und mich wieder einmal nach dir erkundigen, wenn ich in Königsfeld bin.“ Er strich sich über den Bart.
Bruder Weiz eilte herbei. „Mein lieber Fürst zu Fürstenberg, Sie kommen zur rechten Zeit. Die Bücher sind zum Transport gerichtet. Das rote Leder, das Sie mir gebracht haben, wirklich eine vorzügliche Qualität.“ Er wandte sich Nanette zu. „Sag bitte Schwester Raillard, sie möge uns Tee bringen. Und rühre den Leim, bis er schön zäh ist.“
Schwester Raillard erzählte ihr später, dass das Haus Fürstenberg eine große Bibliothek besitze und der junge Fürst regelmäßig komme, um seine Bücher in Königsfeld von Bruder Weiz binden zu lassen.
„Oft begleitet ihn auch seine Frau Mutter und bleibt für einige Zeit mit ihrem Gefolge zu einer Wasserkur. Dank des Fürstenhauses hat nicht nur Bruder Weiz ein regelmäßiges Einkommen. Doch nun geh in die Werkstatt und kümmere dich um den Leim. Wie eine einfache Rumfordsuppe wird er zubereitet. Du weißt, Graupen und Erbsen über Stunden in Wasser kochen, bis eine dicke, recht sämige Suppe im Topf blubbert. Später kannst du Restpapier für Briefe mitnehmen.“